Ethernet und USB haben serielle Schnittstellen wie RS-232 für den Datenaustausch zwischen Computer und Medizingeräten meist verdrängt – für viele Anwendungen sind sie jedoch unverzichtbar. Dank Signal Harvesting gelingt der zukunftssichere MedTech-Weiterbetrieb per Bluetooth-LE-Plug-&-Play-Dongle.
Die RS-232-Schnittstelle wird gerade in der Medizintechnik aufgrund ihrer einfachen Anwendbarkeit und Robustheit noch für längere Zeit in Verwendung bleiben – zum Beispiel als Kommunikations- oder Serviceschnittstelle. Doch da die Sicherheit des Patienten einen besonderen Stellenwert einnimmt, gibt es verschärfte Anforderungen im Hinblick auf die Isolationsfähigkeit von Medizingeräten. Laut MDR und den MOPP-Anforderungen muss sichergestellt sein, dass durch den Anschluss eines Medizingerätes an beispielsweise einen Computer keine Gefährdung für den Patienten entsteht – die Schnittstellen müssen galvanisch getrennt sein. Dies wird meist über Isolatoren erreicht, die entweder im Medizingerät verbaut sind oder nachträglich zwischen Medizingerät und Computer in Form von entsprechenden Isolationsadaptern eingefügt werden.
Im sensiblen medizinischen Umfeld sind Adapterlösungen jedoch nicht gerne gesehen. Vor dieser Herausforderung standen auch die Ingenieure der ETO-Gruppe, einem MedTech-Zulieferer für Magnetventile und -Drucksensoren. Sie nutzten daher eine Erfindung der Softwareschmiede Netwake für die Entwicklung einer wartungsfreien, funkbasierten Datenübertragung über Blue- tooth Low Energy (Bluetooth LE) – eine schlüsselfertige Dongle-Paar-Komponente zur Nachrüstung. Der Clou: die Nachrüstlösung basiert auf dem inzwischen patentierten Prinzip des »Signal Harvesting« und kommt folglich ohne eigene Stromversorgung oder Batterie aus. Für die Umsetzung und Industrialisierung des Projekts wurden die Bluetooth-Spezialisten der Systemtechnik Leber ins Projekt einbezogen.
Energy Harvesting bedeutet, dass für Geräte mit entsprechend kleinem Energiebedarf – im Falle von ETO autarke Sensoren – geringe Mengen elektrischer Energie aus Bewegung, elektromagnetischen Wellen oder auch Temperaturunterschieden bezogen werden. Beim »Signal Energy Harvesting« wird die benötigte Energie direkt aus den ohnehin vorhandenen Signalpegeln der Kommunikationsschnittstelle gezogen. Mit dieser innovativen Technologie werden sowohl Datenkabel als auch eine externe Stromversorgung oder Batterie für das Bluetooth-Modul überflüssig und entsprechende Rohstoffressourcen geschont.
Durch die Nutzung der Energie aus vorhandenen Signalpegeln wird bei der ETO-Lösung eine kabelgebundene Stromversorgung obsolet. Die Geräte arbeiten vollständig autark und bedürfen keiner Wartung. Das bedeutet: weniger Wartungsaufwand, weniger Störanfälligkeit und weniger Energieverbrauch. Vor allem räumlich weit entfernte bzw. stand-alone arbeitende Sensoren profitieren von dieser Technologie.
Grundidee des ETO RS-232 BLE Harvesters (Bild 1) ist ein Plug-and-play-Dongle zur sicher verschlüsselten Bluetooth-Datenübertragung, die die herkömmliche, oftmals sehr lange Kabelstrecke ersetzt und isoliert. Auf diese Weise lassen sich medizinische Bestandsgeräte einfach nachrüsten und können »zukunftssicher« weiterverwendet werden.
| Über Systemtechnik Leber |
|---|
|
Innerhalb der Burger-Gruppe ist Systemtechnik Leber Entwicklungsdienstleister für Antriebstechnik, Digitalelektronik, Feldbus- und Kommunikationstechnik, Leistungselektronik und individuelle Stromversorgungen sowie Leistungssteller. Das fränkische Unternehmen entwickelt für Hersteller aus Medizintechnik, Luftfahrt, Industrieautomatisierung, Automotive sowie Consumer Electronics Konzepte sowie Elektronik, Hard- und Software. Die erfahrenen Ingenieure unterstützen in allen Phasen der Produktentwicklung – vom Prototypenbau bis hin zur Serieneinführung. Zu den bekanntesten Kunden von Leber zählen VW, Siemens und Airbus. |
Erste Prototypen wurde vom ETO-Entwicklerteam gebaut, um zu sehen, ob die Idee tatsächlich realisierbar wäre. Die Ergebnisse fielen positiv aus, sodass im nächsten Schritt die Umsetzung für höhere Volumina geprüft wurde. Aus Kapazitätsgründen, aber auch wegen ihrer Bluetooth-Expertise kamen die Ingenieure von Systemtechnik Leber ins Projekt. Sie übernahmen die Prüfung des Proof-of-Concepts, die nachfolgende Hard- und Softwareentwicklung, den Entwurf des Gehäuses sowie die abschließende EMV-Prüfung. Nach zehn Monaten – inklusive temporärer Unterbrechungen – war der Prototyp des neuen RS-232 BLE Harvesters in serienreifer Bauform fertig für die Markteinführung.
➔ Phase 0: Anforderungsdefinition
Im Rahmen mehrerer Workshops wurde festgelegt, welche Aufgabe das externe Entwicklerteam übernehmen und wie das finale Produkt beschaffen sein sollte.
➔ Phase 1: Prüfung und Erweiterung Proof-of-Concept
Gestartet wurde im Juni 2021 mit einer gemeinsamen Anforderungsanalyse, um die spätere Produktentwicklung zu definieren. Dabei wurden Elektronik- und Mechanikdesign mit dem Ziel zusammengefügt, das vom ETO-Softwarepartner übernommene Proof-of-Concept genau zu prüfen, zusätzlich um einen neuen Dual-Core-Controller zu ergänzen und die Lösung insgesamt robuster zu gestalten bzw. auf eine neue Bauform hin anzupassen. Nachdem eine Machbarkeitsanalyse das Proof-of-Concepts als sehr solide bewertete, wurde die Planung eines Prototyps für die Serienfertigung gestartet.
➔ Phase 2: Entwicklung Elektronik- und Mechanikdesign
Dank der akribischen Vorbereitungen in den ersten Projektphasen brauchte es während der Umsetzungsphase nur noch geringe Abstimmungen. Der Startschuss für die Entwicklung fiel im September 2021. Für die Schaltplan- und Layouterstellung der Hardware kam für das Mechanikdesign mit OXXID ein weiterer externer Partner an Bord. Die Koordination oblag den Ingenieuren von Leber, die ihn zu Bauraum und Platinenkontur kontinuierlich auf dem Laufenden hielten. Zeitgleich startete ein gemischtes IT-Team von STL und ETO mit der Entwicklung der Soft- und Firmware. Die ursprüngliche Prototypenlösung wurde für den neuen Dual-Core-Controller neu entwickelt.
➔ Phase 3: Verifizierter Prototypenbau und -inbetriebnahme
Die Inbetriebnahme der gelieferten Prototypenplatinen durch die Ingenieure von Leber erfolgte, indem die Platinen auf ihre Funktionsfähigkeit überprüft wurden, bevor schließlich Elektronik und Mechanik miteinander verheiratet wurden. Außerdem wurde die Firmware aufgespielt und auf der kundenspezifischen Hardware getestet. Mit der Programmierung war bereits vor Lieferung der Platinen auf Evalierungsboards begonnen worden, die mit demselben Chip ausgestattet waren wie die auf der Platine. Parallel dazu hatten die Ingenieure der Partner ein Evaluation Kit als voll funktionsfähiges Versuchs-Set-up entwickelt. Dieses verwendet denselben neuen Dual-Core-Controller, sodass die damit optimierte Firmware unmittelbar in den neuen Prototypen portiert werden konnte.
➔ Phase 4: Laborbegleitung/EMV-Messungen
Da die neue Dongle-Lösung u. a. der europäischen EMV-Richtline sowie der Richtlinie 1999/5/EG (Radio Equipment Directive, RED) entsprechen musste, wurde der Prototyp in einem externen Labor für EMV- und Funkprüfungen auf seine elektromagnetische Verträglichkeit bzw. Anfälligkeit gegenüber Störungen von außen eingehend geprüft. Leber übernahm dabei die Vorbereitung und Durchführung von vorausgehenden Inhouse-EMV-Messungen, bevor der Prototyp an das Testlabor ging.
➔ Phase 5: Anpassung der Hardwaredaten nach Testing
Im Rahmen der Inbetriebnahme und der Tests wurde kleinere Auffälligkeiten am Hardwaredesign erkannt, die dann in aktualisierten Designdaten (Schaltplan und Planinenlayout) behoben wurden.
➔ Phase 6: Erstellung serienreifer Gehäuse
Das bis zu diesem Zeitpunkt für den Prototypen im 3-D-Drucker hergestellte Gehäuse musste nun durch eines aus Spritzguss ersetzt werden, um die Gehäuse auch in großer Stückzahl in Serie produzieren zu können. Eine entsprechende Spritzgussforum wurde zur Herstellung einer ersten Kleinserie in Auftrag gegeben.
Der ETO RS232 BLE Harvester wurde als »Plug-and-play«-Dongle konzipiert. In dieses sollte zur Sicherstellung maximaler Rechenleistung ein vollkommen neues Chipmodell mit Dual Core integriert werden. Die Herausforderung der Hardwareentwicklung lag darin, dass das Modul vom Chiphersteller erst kürzlich eingeführt worden war und seine Funktionen bzw. die Firmware erst bewertet werden mussten – unter anderem auch im Hinblick auf deren Einfluss auf die integrierte Software. Bei der Entwicklung wurde iterativ vorgegangen: nach Besprechung verschiedener Platzierungskonzepte gab es regelmäßigen Austausch dazu, an welcher Stelle im Gehäuse welche Elektronikkomponenten optimalerweise anzuordnen sind.
Für die Softwareentwicklung hatte das ETO-Team im Rahmen der Anforderungsdefinition eine High-Level-Softwarearchitektur, den Aufbau eines automatisierten Buildsystems und die Erstellung detaillierter Dokumentation vorgegeben, mit der ETO die Software nach Übergabe selbst weiterpflegen und auch den Code erweitern kann. Dies ist insbesondere relevant, wenn zukünftig neue Funktionen hinzugefügt werden sollen. Die Ingenieure von Leber entwickelten die Software entsprechend und testeten diese in der von ETO bereitgestellten Umgebung. Im Rahmen der Über- und Freigabe prüfte die IT von ETO das Softwarepaket eingehend.
Eine Herausforderung stellte die Tatsache dar, dass Secure Boot eingesetzt werden sollte – das Gerät also nur von ETO signierte Software ausführen darf. Dazu wurde von ETO ein cloudbasiertes Hardware-Security-Modul (HSM) zur Verfügung gestellt, das es den Entwicklern Partnerunternehmen ermöglichte, Programmdateien mit eigenen Testsignaturen zu schützen.
Das Projekt wurde mit nur minimalem Verzug und innerhalb des geplanten Budgetrahmens vollendet. Die kleine Verzögerung ergab sich aus einer detaillierteren Dokumentation sowie der Anfertigung des Gehäuses. Martin Tiller, Entwicklungsleiter Elektronik bei der ETO Gruppe (Bild 2), zeigt sich mit dem Ergebnis der Zusammenarbeit sehr zufrieden: »Der von STL entwickelte Prototyp entspricht genau unseren Erwartungen – dabei wurde der Kosten- und Zeitrahmen eingehalten. Zukunftsweisend war auch die umfassende Infrastruktur, die seitens STL für das Projektmanagement mit ins Projekt gebracht wurde, und von unseren Mitarbeitern mitgenutzt werden konnte«. Die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Entwicklerteams hat so vorbildlich funktioniert, dass ETO mit Leber bereits eine Fortsetzung plant, um weitere Funktionen der Retrofit-Schnittstelle zu ergänzen. (uh)